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Alles vorbei mit dem Internet? Nach der Abstimmung im EP zu upload-Filtern und Leistungsschutzrecht

Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) hat heute knapp für die Einführung von upload-Filtern und das schon in Deutschland gescheiterte Leistungsschutzrecht gestimmt.

 

Meine timeleine dreht ein wenig durch und auch sonst gibt es viele Äußerungen, die das nun schon als endgültig ansehen.

Ich möchte den Anlass nutzen, um aufzuzeigen, was nun passieren kann und was getan werden muss. Ein paar Infos zu europäischem Lobbying als Basis dafür, dass endlich mal mehr Leute merken, dass in Brüssel/Straßburg die entscheidende Musik spielt.

Und ich will die Erkenntnis bei mehr Menschen, dass es eben nicht reicht, erst am Tag vor wichtigen Abstimmungen aktiv werden wollen oder gar dann rumheulen wenn es schon zu spät ist. (Ja, ich bin echt angenervt davon. Die meisten digitalpolitischen Zusammenhänge kreisen um die nationalen Themen oder kümmern sich dann um Europa wenn es zu spät ist. Europa ist aber nicht kurzfristige Hipsteraktivität, sondern langer Atem.)

 

Zu den Inhalten findet ihr viele tolle Infos auf den Seiten von Europaabgeordneten der S&D Fraktion (Joe Weidenholzer, Tiemo Woelken, Birgit Sippel), der Grünen und natürlich auf der Seite der einzigen Piratin. Das werde ich hier nicht wiederholen.

 

 

1. Ist nun alles vorbei?

Wenn ich mir meine timeline und die Schlagzeilen so ansehe scheint es so. In Wahrheit hat aber "nur" JURI dagegen gestimmt. Es ist möglich und gar nicht so selten, dass das Plenum in zwei Wochen anders entscheidet als der Ausschuss. Zu den Mitgliedern des Rechtsausschusses geht es hier.

Dazu muss es aber ein wenig Bewegung geben. 

Die formalen Hürden für eine erneute Debatte im Plenum sind sicher zu nehmen. Aber das macht auch nur Sinn wenn man mit den Abgeordneten vorher noch einmal die Argumente am besten persönlich im Gespräch erläutert.  

Dabei ist gut zu wissen wo die kritische Masse liegt.

Die Fraktion ALDE (Liberale) ist nicht einig.

Die Fraktion EVP (Konservative) ist massiv für upload-Filter und LSR, aber auch da gibt es einzelne, die sich auch immer wieder kritisch geäußert haben. Das Gefälle dort ist eher Nord-West (eher ansprechbar) gen Süd-Ost (eher nicht ansprechbar).

Die Fraktion S&D (SozialdemokratInnen), Grüne und GUE (Linke) sind gegen beides.

 

2. Nützt es wirklich etwas, einzelne Abgeordnete anzusprechen? Was ist mit dem Fraktionszwang?

Ja, es nützt wirklich etwas. Allerdings ist es immer suboptimal wenn das am Abend vor einer Abstimmung im Ausschuss passiert. Die Tatsache, dass es nun im Plenum noch einmal grundsätzlich eingebracht wird öffnet aber ein neues Fenster. Das muss genutzt werden. 

Die gute Nachricht: in Europa gibt es keinen Fraktionszwang. Das ist großartig und hat mehrfach dazu geführt, dass das Europäische Parlament deutlich progressivere Beschlüsse zur Gesellschaftspolitik getroffen hat als das in den nationalen Parlamenten möglich gewesen wäre. 

Es bedeutet, dass viele Abgeordnete offen für Argumente und Austausch sind. Aber das bedeutet auch viel, viel Arbeit. Ich bin seit 1986 in Europa unterwegs und habe eine Reihe von "engen" Themen begleitet. Manche haben wir nach langen, langen Diskussionen progressiv beenden können auch wenn es zunächst nicht so aussah. Aber das war lange und aufwändige Arbeit.  

In Deutschland hilft es i.dR., die Fraktionsspitzen zu überzeugen und dort ein oder zwei laute FürsprecherInnen zu haben. Das ist in Europa auch schön, reicht aber mitnichten aus. 

Europ ist viel demokratischer als das oft reflexhafte Abstimmen im Bundestag (wenn die Opposition einen Antrag stellt ist die Regierung in der Regel dagegen.)

Das ist wenig politisch. Würden im Bundestag die Abstimmungen ebenfalls offen sein hätten wir manche Dinge viel früher beschlossen (und damit meine ich nicht nur die Ehe für alle). Aber genug Ausflug in die nationalen Niederungen.

 

Ein schönes Beispiel für fraktionsübergreifende Zusammenarbeit ist das gemeinsame Video zu den upload-Filtern. 

3. Was ist zu tun?

Ein Tipp war, die Abgeordneten alle anzurufen. Ehrlich - ohne Konzept ist das keine gute Idee. Ihr werdet nirgendwo durchkommen außer ihr seid persönlich bekannt. 

E-Mail-Kampagnen sind auch immer gern genommen. Aber sie sind auch nicht wirklich hilfreich. E-Mail-Postfächer, die überquellen, nerven die Büros und führen nicht unbedingt zu einer Situation, in der Abgeordnete Lust auf ein Gespräch haben. 

Es gilt das persönliche Gespräch. 

Am besten geht das natürlich wenn es einen persönlichen Kontakt gibt. Wer gutes Networking betreibt wird sicher jemanden finden, der oder die ein Intro machen kann.

Zielgruppe sind alle Liberalen und die Konservativen, die aus nicht ganz reaktionären Kreisen kommen.

Hier kommt ihr mit einem Klick auf die Liste der MdEPs nach Fraktion und Land.  

Auch wenn ihr wisst, dass diejenigen, die ihr kennt, bereits eure Position vertreten, fragt sie trotzdem, ob sie empfehlen können wen ihr ansprechen sollt. Somit habt ihr auch schon einen kleinen Anhänger für ein Gespräch (das ja auch per Telefon stattfinden kann...). Wenn ihr dann noch euren support anbietet ist das sicherlich hilfreich. Es gilt hier eine Arbeitsteilung aus ParlamentarierInnen und Zivilgesellschaft herzustellen. Ihr könnt anders agieren als MdEPs und könnt gleichzeitig auch deren Aktivität zu dem Thema unterstützen. 

In der Natur dieser Sache liegt, dass hier tatsächlich die liberalen und konservativen NetzpolitikerInnnen gerade ein bisschen mehr zu tun haben.

Hoffen wir, dass der Einfluss vom c-netz (dem digitalpolitischen Arm der CDU) oder auch von load (FDP) wirkt. 

D64 ist überparteilich und steht der SPD nah, da ist aber zum Glück nicht so viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Allerdings ist der Einfluss nationaler Vereine auf MdEPs aus anderen Ländern nicht besonders groß. Dazu kommt, dass im Moment nationale Aufstellungen für die nächsten Europawahlen 2019 stattfinden. Da wird sich manch ein deutscher Konservativer, der vielleicht dagegen stimmen würde, dreimal überlegen, ob ihm so eine offene Flanke wirklich wichtig ist.

Bei den Liberalen kann das genau anders wirken. 

4. Warum haben die deutschen Konservativen überhaupt dafür gestimmt? Der Koalitionsvertrag beinhaltet doch anderes...

Auch eine Frage oder Forderung, die oft gebracht wird. 

Aber MdEPs sind nicht an nationale Koalitionsverträge gebunden (zum Glück, siehe oben).

Der KoaV wird dann relevant wenn es in die nächste Runde, das Trilogverfahren geht. Dann sitzen Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten an einem Tisch und müssen alles zusammenbringen. 

Leider gibt es viele Mitgliedsstaaten, die pro upload-Filter und pro-LSR sind. Trotzdem kann sic im Rahmen der Trilogverhandlungen noch ein bisschen ändern. Ich bin nicht besonders optimistisch, dass das tatsächlich positive Änderungen sind.

Die Federführung liegt dann bei der Ratspräsidentschaft, das ist ab dem 1.7.2018 Österreich. Da ist nicht viel Progressives zu erwarten.

Trotzdem hat Deutschland Gewicht im Rahmen der Verhandlungen. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass nicht immer im Sinne der politischen Agenda verhandelt wird. Manche MinisterInnen haben dies auch zum Anlass genommen, ihre persönliche Agenda gegen die nationalen Vereinbarungen durchzusetzen. Also sollten wir da nicht zu viel Hoffnung haben, dass wir an der Stelle noch groß retten können.    

5. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Ach und seufz.....

Kleiner Exkurs - ich habe 1986 begonnen, mich mit dem Thema in Europa zu befassen. Damals ging es um Medienpolitik resp. Medienkonzentration und die Idee war, sowas wie Berlusconi zu verhindern. Hat ja nicht ganz so gut geklappt.

Das Thema Copyright ist genauso alt, wurde aber erst später sehr umkämpft. Vor allem war die Frage der Federführung sehr umkämpft. Der Industrieausschuss hat lange darum gekämpft, dass sie statt des Kulturausschuss zu dem Thema federführend sind. Damit ist schon ne Menge gesagt. Es geht um Märkte und Macht, nicht um Kultur oder offenen Netze. Deshalb war von Anfang der digitalpolitischen Themen an die wesentliche Frage immer, wo die Federführung ist und welche Lobbyverbände wie aktiv sind. 

Der BDZV (Bund der deutschen Zeitungsverleger) und andere haben enorme personelle und andere Ressourcen in Brüssel gebündelt, ein Pendant dazu gab es nie. Nur so ist die Geschichte des LSR zu erklären.

Gleichzeitig sind zivilgesellschaftliche Gruppen zu digital- und netzpolitischen Themen immer nur national aktiv, die großen Stakeholder konzentrieren sich auf Europa. Aus gutem Grund. Und hier ist die Wirkung leider wieder exemplarisch sichtbar.

6. Ich wünsch mir was....

Naja, zuerst einmal wünsche ich mir, dass alles ich anstrengen und somit die Abstimmung in der nächsten Straßburg-Woche anders ausgeht als heute im Ausschuss. Aber auch dann ist noch nicht alles gewonnen, siehe meine Anmerkungen zum Trilog-Verfahren.

Dann wünsche ich mir, dass alle Verbände endlich raffen, dass Europa digitalpolitisch zählt. Jedes Mal schlafen erst alle und dann ist das Geheule groß. Macht was! Und zwar dann wenn es noch Einflussmöglichkeiten gibt und nicht erst am Abend vor ner Abstimmung.

Und zum Schluss wünsche ich mir, dass wir einen progressiven europäischen Digitalverband gründen, der sich genau darum kümmert. Ich bin seit etwa einem Jahr dazu in Gesprächen und wir sind auf einem guten Weg. Wenn diese Abstimmung heute dazu führt, dass der Leidensdruck groß genug ist, um mitzumachen, wäre das zumindest ein kleiner Lichtblick.

Wer Interesse daran hat darf mich gern kontaktieren.  

 

Und jetzt gilt erst einmal: Arsch hoch und arbeiten, damit im Plenum ein anderes Ergebnis als heute steht!

 Foto: Europäisches Parlament

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